Amberger Zeitung 22.11.2024 von Anke Schäfer

Zwei, drei Jahre wollte sich Thomas Appel ursprünglich beim Amberger Oratorienchor geben. Mittlerweile leitet er dessen musikalische Geschicke schon in der 30. Saison. Und er hat mehr als nur das nächste Konzert am ersten Advent vor Augen.

30 Jahre als Chorleiter: Thomas Appel dirigiert den Amberger Oratorienchor
Archivbild: Petra Hartl

Eigentlich war es Zufall, erinnert sich Thomas Appel beim Probenbesuch in der Klangwerkstatt an seine Anfänge als Dirigent und künstlerischer Leiter des Amberger Oratorienchors (AO). Als die Anfrage kam, hatte er seit ein paar Jahren seine Zelte in der Oberpfalz aufgeschlagen und willigte ein: „Angedacht waren zwei oder drei Jahre.“

Dass es dann doch drei Jahrzehnte wurden, lag an der verlockenden Perspektive, alle großen Oratorien in Amberg aufführen zu können. Mit rund 50 bis 60 Stimmen war der Laien-Chor Mitte der 1990er Jahre ähnlich besetzt wie heute, so Appel. Zwischenzeitlich war das Ensemble auf fast 100 aktive Stimmen angewachsen, doch Corona habe vieles verändert: „Es gibt Mitglieder, die ich seitdem leider nicht mehr gesehen habe.“

Schätze abseits der bekannten „Highlights“

Seinem Ziel, mit engagierten Musikern und einem gut vorbereiteten Chor ein hervorragendes Konzerterlebnis auf die Bühne zu bringen, zu dem die Besucher immer wieder gerne kommen, ist Appel über die Jahrzehnte treu geblieben. „Nur in der Werkauswahl habe ich in den letzten 15 Jahren verstärkt darauf geachtet, auch unbekannte, aber gleichermaßen wundervolle Schätze der Musik aufzuführen, die etwas abseits der bekannten ‚Highlights‘ stehen.“

Beim Antrittskonzert hatte er allerdings auch schon einen Bogen um die Flaggschiffe der Gattung Oratorium gemacht und mit einem zeitgenössischen Werk des Regensburger Komponisten Ernst Kutzer die Segel in die neue Richtung gesetzt.

Bei der Bilanz besonderer Höhepunkt seiner bisherigen AO-Ära sind sie dann aber doch dabei, die ganz großen Namen: Das Verdi-Requiem oder die „Missa Solemnis“ von Beethoven oder Dvořáks „Stabat mater“. Aber auch Beethovens Neunte mit dem Chor der Partnerstadt Desenzano/Italien oder die Open Air-Aufführung der „Carmina Burana“. Aufführungen, die tatsächlich eher zum Vergessen waren, liegen dagegen weit zurück in der Anfangsphase und wurden zwischenzeitlich vom Dirigenten erfolgreich verdrängt.

Das nächste Glanzlicht der AO-Historie steht mit der Aufführung des Oratoriums „Paulus“ von Felix Mendelssohn Bartholdy am Sonntag, 1. Dezember um 18 Uhr im ACC unmittelbar bevor. „Das Werk ist so wegweisend, dass man nicht daran vorbeigehen kann“, findet Appel. Es vereine Klassik und Barock mit romantischen Stilmitteln und setzte damit die Maßstäbe der Gattung Oratorium bis hinein in die Gegenwart.

Mendelssohn Bartholdy, der wie Mozart als Wunderkind begann und ähnlich jung verstarb, komponierte sein erstes großes Oratorium „Paulus“ mit Mitte Zwanzig im Auftrag der Düsseldorfer Musikvereins, weiß Appel zu erzählen. Dass der Komponist die Verkündigung nicht nur wie üblich mit einem Bass-Solisten, sondern zusätzlich mit weiblichen Chorsängerinnen besetzte, glich seinerzeit einer Revolution und führte auch prompt zum Verbotsversuch seitens der Kirche. Wie es darüber hinaus in der musikalischen Aufführungspraxis ohne Mendelssohn Bartholdys „Erfindung“ der Generalprobe laufen würde, mag Appel sich gar nicht erst vorstellen.

Dass das Frühwerk „Paulus“ so sehr im Schatten des weit berühmteren Spätwerkes „Elias“ verschwand, ist zumindest musikalisch gesehen nicht zu erklären. Die Sängerinnen und Sänger des Amberger Oratorienchores jedenfalls freuen sich über diese Entdeckung und geraten durchaus ins Schwärmen.

„Das Zusammen ist entscheidend“

Chorvorstand und Bass Wolfgang Streich begeistert sich dafür, weil der Chor bei diesem „wieder mal großen“ Werk durchgehend gefordert und nicht auf ein paar wenige Einsätze zwischen langen Arien beschränkt ist. Da ist natürlich Präzision gefragt, aber dafür sorgt der Dirigent schon, den Streich als kompetent und geduldig in der Vermittlung schwieriger Werke beschreibt: „Er versteht es, Freude am Singen zu vermitteln.“

Fingerspitzengefühl sei dabei aber durchaus gefragt: „Wenn er streng wäre, würden die Leute ja davonlaufen.“ Sobald man allerdings Stellen immer wieder wiederholen müsse, merke man schon, dass es für den Chorleiter noch nicht passt. Seine 22 Jahre Mitgliedschaft im Chor brachten Streich unter anderem die Erkenntnis, dass Singen der Seele gut tut und durch die Konzentration auf das, was man singt und spricht, für einen guten Ausgleich zum Alltag sorgt: „Das Zusammen ist entscheidend.“ Hoch im Kurs stehen bei ihm Mozart, aber auch Homilius. Wobei: „Das Weihnachtsoratorium ist natürlich schon auch sehr schön.“

Bei Tenor Bernhard Mitko, seit zwei Jahren mit von der Partie, rangiert Bachs Johannes-Passion ganz oben, auch weil es das erste Werk war, dass er als Neuzugang absolviert hat. Erfahrung in Sachen gemeinsames Singen hatte er zuvor schon reichlich gesammelt, nach dem Umzug nach Amberg fiel seine Wahl bewusst auf den AO – wegen des Schwerpunkts Oratorium. Thomas Appel schätzt er dafür, sich mit dem Laienchor auch an schwierige Werke heranzutrauen, souverän durch die Konzerte zu führen, Nachsicht zu zeigen und zu versuchen, den Chor zu einer guten Beherrschung zu bringen. Das aktuelle Projekt „Paulus“ ist auch für ihn eine Neuentdeckung und das obwohl er den Komponisten generell möge und dieser ja durchaus bekannt sei.

Geschätzt für seine Geduld

Dass Singen nicht nur Spaß macht, sondern darüber hinaus berufliche Perspektiven eröffnen kann, beweist Veronika Kusin. Seit zweieinhalb Jahren verstärkt sie die Stimmgruppe Alt und bereitet sich damit auch auf die Aufnahmeprüfung fürs Musikstudium vor. Neben Grauns „Der Tod Jesu“, ihrem ersten Auftritt mit dem AO, zählt sie „Paulus“ schon jetzt zu ihren Lieblingen: „Anspruchsvoll, aber auf jeden Fall machbar.“ Letzteres schreibt sie auch dem Chorleiter zu: „Er hat wirklich Geduld mit uns, er will, dass wir es schaffen und er weiß, dass wir es schaffen.“ Die humorvolle Gestaltung der Proben und der Spaß tue ein Übriges.

Da ist Sopran-Kollegin Michaela Glaser ganz bei ihr: Thomas Appel habe einen tollen Humor und bleibe immer sehr souverän – egal wie stressig es gerade ist. Durch eine Kollegin der Mutter und eine bereits mitsingende Freundin in der Straße kam sie einst zum Chor und schätzt seither am Dirigenten schlichtweg alles: „Für mich ist es ohne ihn nicht vorstellbar. Es gab kein Konzert, das nicht super gewesen wäre.“ Das große Lobgesang-Projekt im Gewandhaus Leipzig 2023, die „Carmina Burana“ Open-Air, das Dvořák-Requiem und die Fahrten zum Partnerchor nach Desenzano del Garda nehmen dennoch einen besonderen Platz in ihrer Chor-Erinnerung ein. Die Neuentdeckung „Paulus“ wird sich hier wohl einreihen: „Es ist toll und mitreißend. Das hätte ich am Anfang gar nicht gedacht von der Geschichte her.“

Nächste Projekte zeichnen sich übrigens auch bereits am Horizont ab: Zu Karfreitag 2025 wartet mit Mozarts „Requiem“ ein absoluter Chor- und Publikumsliebling, ein Jahr später steht eine Reise zum Städtepartnerschafts-Jubiläum nach Desenzano ebenso auf der Wunschliste des Chorleiters wie die Gegeneinladung an den Leipziger Oratorienchor, Mendelssohn Bartholdys „Lobgesang“ auch in Amberg gemeinsam aufzuführen.

  • Paulus Oratorium nach Worten der Heiligen Schrift für Soli, Chor und Orchester op. 36 von Felix Mendelssohn Bartholdy am Sonntag, 1. Dezember um 18 Uhr im Amberger Congress Centrum (ACC) mit dem Amberger Oratorienchor, dem Amberger Sinfonieorchester, Katharina Heiligtag (Sopran), Johannes Gaubitz (Tenor), Wiard Witholt (Bass), musikalische Leitung Thomas Appel, Tickets unter www.nt-ticket.de