06. Juni 2023 – aus der Leipziger Presse

Festkonzert zum 30. Geburtstag des Leipziger Oratorienchors mit 13 Chören sowie dem Mendelssohn Kammerorchester

von Peter Korbmacher

Zwölf Chöre aus Deutschland und der Schweiz feiern gemeinsam mit dem Oratorienchor Leipzig im Gewandhaus dessen 30. Geburtstag. © Quelle: kfm

Das muss man erstmal auf die Beine stellen: Zum eigenen 30. Geburtstag führte der Leipziger Oratorienchor am Sonntag im Gewandhaus Mendelssohns Feier-Sinfonie auf, den „Lobgesang“, ein Auftragswerk der Stadt Leipzig, um 400 Jahre Buchdruck groß zu begehen. Es war sehr groß: Gut 500 Musikerinnen und Musiker, Sängerinnen und Sänger scharte Mendelssohn um sich in der Thomaskirche. Es muss mächtig gewaltig getönt haben – wenn so viele Stimmen in einer solchen Akustik lauthals fordern: „Alles, was Odem hat, lobet den Herrn“.

Zum 30. des Oratorienchors sind es sogar noch mehr Stimmen: 160  Sopranistinnen, 160 Altistinnen, 50 Tenöre, 150 Bässe, 520 also allein für Vokale, wie Thomas Stadler, aktueller Leiter des Oratorienchors und folglich der Dirigent des Festkonzerts, stolz verkündet. Die kommen na- türlich nicht alle vom Oratorienchor. Doch dessen Vorstand mobilisierte Chöre aller Art zur gemeinsamen Geburtstagsfeier, und 13 Vokalensemble aus Amberg, Bielefeld, Dresden, Markkleeberg, Potsdam, Saarbrücken, Schwerin, Suhl, Weimar, Zürich und natürlich Leipzig folgten dem Ruf.

Das sind weit mehr Stimmen, als sie Gewandhauskapellmeister Andris Nelsons in der Vorwoche für Mahlers Achte versammelte. Und der Anblick der bis zum Rand gefüllten Chor- und Seitenemporen ist durchaus besorgniserregend. Aber Thomas Stadler gibt bereits mit den ersten Chortönen Entwarnung: „Kommt, lasst uns anbeten“ aus Mendelssohns 95. Psalm, der dem „Lobgesang“ vorausgeht, klingt mächtig gewaltig, gibt sich aber nicht mit der Überwältigungskraft der Vielen zufrieden. Stadler hat sie in der kurzen Probenzeit auf Transparenz getrimmt, auf Artikulation und auf Präzision. Und so bleiben Psalm wie Sinfonie weitestgehend brüllfreie Zone. Zwar gelangen Mendelssohns Fugen, sie machen Sängerinnen und Sängern einfach zu viel Freude, schnell auf dem Gipfel an und laufen sich da ohne Zusatz-Proviant kraftmeiernd tot. Aber wenn Stadler den Choral „Nun danket alle Gott“ ganz schlicht aus sich selbst wirken lässt, ganz auf die Kraft der Musik bauend und die Begeisterung seines Chorkombinats, ist gegen die Größe dieses Augenblicks kein Kraut gewachsen.

Da feiert ein Chor mit einem Dutzend anderer Chöre seinen 30., da stehen zwei Werke auf dem Programm, in denen Chor eine entscheidende Rolle spielt. Und weil dieser Massenchor seine Sache exzellent macht, ist schon viel fein bei diesem Geburtstagskonzert. Ein Solo-Terzett gibt es auch. Darin lässt sich dem Tenor André Khamasmie nichts, der Sopranistin Sarah Kollé wenig, ihrer Kollegin Maria-Teresa Martini Schärfe und das unruhige Vibrato vorwerfen. So muss man sich gegenüber so vielen Laien erst einmal behaupten.

Und dann ist da ja noch das Mendelssohn Kammerorchester, das im „Lobgesang“ immerhin drei Sätze allein vorträgt, und dies mit Streicherbläschen hier und Blechdellen da unter Stadlers um Korrektheit bemühtem Schlag meist erfreulich und im Allegretto un poco agitato sehr schön tut. Tritt der Chor dazu, tut sich, sein Name lässt es ahnen, das Mendelssohn Kammerorchester doch ziemlich schwer. 4 Kontra- gegen 100 Bässe, 160 Sopranistinnen gegen 10 erste Geigen – man kann das anders als unfair nicht finden. Auch wenn von einem Kammerorchester bei dieser Besetzung eigentlich keine Rede mehr sein kann – es kämpft auf weiten Strecken auf verlorenem Posten.

Macht nichts. Wen kümmern Geigen, wenn alles, was Odem hat, den Herrn preist. Sie haben ja keinen. Und so reißt dieser mitreißende Massen-Jubel auch das Publikum unmittelbar nach dem Schlussakkord aus den Sesseln. Mal sehen, was der Oratorienchor auf die Beine stellt, wenn in 20 Jahren ein richtiges Jubiläum ansteht. Eigentlich bleibt nur Mahlers Achte.